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p.t.t.red – Ausstellung OPPOSITIONEN & SCHWESTERFELDER - Wiener Sececcion 1993  
Neuigkeiten vom Speer des Archytas‘ 2017                                  

Projekt -  Archytas

 Durch die faszinierende Radiosendung ‚Sterngeschichten‘ im Deutschlandfunk von Florian Freistetter bin ich wieder auf die Arbeit „Projekt Archytas“ von p.t.t.red gestoßen. In Folge 194 der Sterngeschichten berichtet Freistetter über das Hubble Deep Field und wie es dadurch zu den tiefsten Einblicken ins Universum kam. Zwischen dem 18. und 28. Dezember 1995 blickte das Hubble Weltraumteleskop auf eine winzige Stelle am Himmel. Diese Stelle befindet sich im Sternbild des Großen Bären und dort war nichts. Nach allem was man wusste, war dieser Bereich am Himmel komplett leer, da waren keine Sterne, da war auch sonst nichts von Bedeutung, und trotzdem hat man das Teleskop, das beste Teleskop der damaligen Zeit, genau dort hingerichtet und insgesamt 100 Stunden Aufnahmen gemacht. Die Idee hatte der Astronom Robert Williams. (aus: Sterngeschichten, Folge 194) Robert Williams war 1995 der Direktor des von der NASA gegründeten Space Telescope Science Institute. Mit seiner ungewöhnlichen Idee und einem Experiment, das augenscheinlich ins Leere führt, hätte er wohl keine Chance auf Genehmigung gehabt.  Als Leiter des Instituts standen ihm 10% der Beobachtungszeit des Hubble Weltraumteleskops zur freien Verfügung, mit der er machen konnte, was er wollte. Dies war bei seinen Kollegen natürlich sehr umstritten, da jede Nutzung des Teleskops mit einer kostbaren Beobachtungszeit verbunden ist, die in der Regel  von einem Wissenschaftlergremium genehmigt werden muss. 100 Stunden in etwas Schwarzes und Leeres zu schauen, war undenkbar. Doch Williams wusste, was er wollte und richtete das Teleskop auf diese winzige, sternfreie Stelle im Bereich des großen Wagens aus.  Auf diese Stelle, die nicht größer erscheint als ein Tennisball auf hundert Meter Entfernung, fokussierte er das Teleskop etwa parallel zum galaktischen Nordpol 100 Stunden lang auf dem direktesten Weg in den außergalaktischen Raum. Was das Hubble Weltraumteleskop entdeckte, war sensationell! Das Ergebnis zeigte das auf dem 100 Stunden langzeitbelichteten Foto das Hubble Deep Field. Noch niemals hatte der Mensch so weit hinaus blicken können. Die Hubble Deep Field Aufnahme zeigt uns Licht von Galaxien, die uns an den Rand des Universums führen mit  jungen Galaxien, die kurz nach dem Urknall entstanden. Das Hubble Deep Field löste bei den Kosmologen Begeisterung aus. Die Aufnahme besitzt eine solche Datenfülle, dass über 500 Fachartikel darüber publiziert wurden. Hubble Deep Field und weitere Nachfolgeprojekte bis heute zählen zu den bedeutendsten, wichtigsten Erkenntnissen der heutigen Kosmologie.

Dieser Wurf bis zum Rand des Universums wurde schon 1993 als Idee vorgedacht mit dem „Speer des Archytas“ als  Paradoxon. Damals beschäftigte ich mich in meinem Astrophysikstudium mit der Thematik Kosmologie und entwickelte mit meinem Kollegen das Projekt Archytas. Im 4. vorchristlichen Jahrhundert formulierte der Mathematiker und Musiker Archytas von Tarent, ein Freund Platons, ein Paradoxon: Wenn das Universum endlich ist, muss es einen Rand geben. Wenn man kurz vor diesem Rand steht und einen Speer wirft, wird er sich solange fortbewegen, bis er landet. Von diesem neuen Rand aus könnte man den Speer erneut werfen. Es wird  für den Speer immer einen neuen Rand jenseits des vorherigen geben – ganz gleich, wo man den Rand zieht. Mit jedem Wurf wird das Universum größer.  Daraus schließt man, dass das Universum keinen Rand haben kann und daher unendlich sein muss.

Mehr als 2 Jahre vor der Entdeckung des Hubble Deep Field wurde dieses Paradoxon 1993 Teil des Projekts Archytas in der Wiener Secession von p.t.t.red in der Ausstellung OPPOSITIONEN & SCHWESTERFELDER, kuratiert von Sabine B. Vogel. Die Idee von p.t.t.red - Stefan Micheel und Hs Winkler war es, den Speer des Archytas‘ auf kürzestem Weg ins Universum zu schleudern. Herzstück in der Arbeit der Installation war eine computergesteuerte Funkeinrichtung, die mittels einer Atomuhr zeitgenau Daten in den Weltraum senden konnte. Hierfür wurde ein Pfeilpiktogramm als Symbol für den ‚Speer des Archytas‘ als Bilddatei digitalisiert und über diese stärkste Sendeeinrichtung, die man damals auftreiben konnte, in den sternenfreisten Bereich unserer Milchstraße gesendet. Ziel war es, auf dem direktesten Weg in den außergalaktischen Raum, funktechnisch einzudringen. Die Peilrichtung der Antenne zielte auf den Himmelssektor parallel zum galaktischen Nordpol, wo die Sternendichte am geringsten ist – im Bereich des ‚Großen Bären‘. 

Während der Ausstellungsdauer gab es aufgrund der Eigendrehung unserer Erde jeweils nur einmal täglich ein Sendefenster zur Himmelslücke. Zu einem festen Zeitpunkt löste eine Atomuhr, die mit der Funkeinrichtung der Installation und der  Antenne unter der Kuppel der Wiener Secession verbunden war, die digitale Bilddatei des Speers des Archytas‘ ins Weltall aus. Sowohl vom Haus als auch von offizieller Stelle aus wurde in den Museumsräumen die Betreibung einer aktiven Funkeinrichtung untersagt. Dennoch hielten wir diese während des Ausstellungszeitraums unbemerkt in Betrieb.

Während der Ausstellungsdauer gab es in der Zeitung Wiener Standard die Meldung: NASA aufgepasst! Nach den Berechnungen eines Hobbyastronomen könnte möglicherweise die Marssonde ‚Observer‘, die ins Sendefenster des Archytas‘ geraten war in jener Zeit, eine Fehlfunktion in ihrer Außensteuerung erlitten haben und dadurch außer Kontrolle gebracht worden sein. Nun trudelt der aus seiner Bahn gerissene ‚Observer‘ hinter den lichtschnellen Speeren des Archytas‘ im außergalaktischen Raum daher.

Die Ausstellung Oppositionen & Schwesterfelder von 1993, in der namhafte Künstler vertreten waren, fand eine große Öffentlichkeit. Im Katalog zur Ausstellung findet sich die Projektbeschreibung des Projekts ‚Der Speer des Archytas‘ und ein begleitenden Text: „Das Universum steckt im Kopf oder wir werden sein wie Gott." Vielleicht ergab sich daraus 1995 eine Begegnung anderer Art und eine kleine Sternstunde für den Direktor des  Space Telescope Science Institutes, den der Speer des Archytas‘ „zong! hart  traf und uns weit über den Rand des Universums hinausgeschleudert hat.

Steel – Stefan Micheel 2017  

https://de.wikipedia.org/wiki/Hubble_Deep_Field

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File%3AHubble_Deep_Field_movie.ogv&uselang=de

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